Die Nachricht ist schon ein paar Tage alt. Aber: Wenn ein Verlag ein Buch zurückzieht, es grundlegend überarbeitet und den Kunden einen kostenlosen Umtausch anbietet, ist das eine bemerkenswerte Aktion, die auch noch ein paar Tage später Beachtung verdient.
Nach der verheerenden Kritik an der Historia Aventurica hat Ulisses die Reißleine gezogen. In einem Beitrag auf der Ulisses-Homepage hat die DSA-Redaktion zerknirscht Fehler eingestanden und eine umfangreiche Überarbeitung des aventurischen Geschichtsbandes angekündigt.
DSA-Spieler reagierten auf diese Ankündigung erfreut, teils euphorisch: „Respekt“ – „Großes Lob.“ – „Wirklich tolle Aktion“ – „Zeugt von Größe“ – „Hut ab, so tief kann ich mich gar nicht verbeugen“ – „Absoluten, frenetischen Standing-Ovation-Applaus von meiner Seite“. Im Ulisses-Forum, bei Nandurion und auch an anderen Stellen ist der Beifall groß.
Es ist ohne Zweifel eine außergewöhnliche Aktion. Ulisses gesteht einen Fehler ein, bittet um Entschuldigung, gelobt Besserung, kündigt die Überarbeitung des fehlerhaften Produktes an und verspricht einen kostenlosen Umtausch.
Dennoch wirft die Erklärung von Ulisses mehr Fragen auf als sie Antworten liefert.
Die Kritik an der Historia Aventurica…
Zunächst: Was sind die Probleme mit der Historia Aventurica? Wer sich die zahlreichen Rezensionen und Bewertung der Historia durchliest, wird auf zwei zentrale Kritikpunkte stoßen:
1. Der Band widerspricht bisherigen Angaben und Setzungen – und zwar insbesondere in der Darstellung der kosmologischen Frühgeschichte und der Götterwelt Aventuriens.
2. Die Darstellung dieser Frühgeschichte in Form einer subjektiven Erzählung durch Chalwen wirkt ungelenk, unpassend und verstörend und liefert nur begrenzten Mehrwert für das Spiel.
…und was Ulisses dazu sagt
Und nun die Erklärung von Ulisses:
Die Historia war laut Ulisses maßgeblich als ein Band gedacht, der Legenden und Mythen liefert, die das Spiel bereichern sollten. Diese sollten vor allem in Form eines sehr subjektiven und interpretierbaren Überblicks über die frühen Zeitalter Aventuriens präsentiert werden.
Während der Arbeiten an der Historia Aventurica kam es laut DSA-Redaktion jedoch immer wieder zu konzeptionellen Änderungen. Dadurch seien die einzelnen Passagen unter teilweise sehr unterschiedlichen Prämissen entstanden. Leider hätten dann die Kontrollmechanismen versagt, wodurch sich Widersprüche und Fehler ins Buch einschleichen konnten.
Im Vorwort der Historia findet sich der Halbsatz, „dass die Zahlen und Fakten, die in diesem Geschichtsband stehen, genauer sind als die in älteren Publikationen“. Diese Aussage stünde jedoch im Widerspruch zu dem Ansatz, die Frühgeschichte mit subjektiven und interpretierbaren Mythen und Legenden zu beschreiben.
Das Vorwort habe demnach Erwartungen geweckt, die nicht zum Konzept des Buches passten. Aus diesen, nicht miteinander zu vereinbarenden Gegensätzen rühre laut Ulisses vermutlich ein Großteil des Unmuts her, der das Buch getroffen hat.
Die Erklärung erklärt nichts
So weit Ulisses. Mein Eindruck: Die Kritikpunkte der DSA-Spieler und die Erklärung von Ulisses passen nicht zusammen.
Zum einen ist den meisten Lesern durchaus bewusst gewesen, dass die Darstellung der Frühgeschichte nur in Form einer subjektiven und interpretierbaren Erzählung erfolgt. Denn genau daran entzündete sich ein Großteil der Kritik. Statt Fakten und out-of-game-Informationen liefert die Historia im kosmologischen Teil nur Mythen und in-game-Erzählungen von geringem Nutzen. Dieses Problem wird die DSA-Redaktion kaum lösen, indem sie in der Neuauflage deutlicher herausarbeitet, dass der erste Teil nur Legenden und Mythen enthält.
Zum anderen liefert die Erklärung von Ulisses keine Begründung, warum in der Historia von den bisherigen Legenden und Mythen abgewichen wird. Es gibt durchaus Gründe, die Frühgeschichte Aventuriens nicht in Form von Fakten zu präsentieren, sondern in einem mythologischen Nebel verblassen zu lassen. Doch warum liefert die Historia keinen Überblick der bisherigen mythologischen Erzählungen, so wie sie aus anderen Publikationen bekannt sind? Warum werden stattdessen neue Legenden und Mythen eingeführt, die zudem den bisherigen widersprechen? Ist das ein Fehler gewesen? War das Absicht?
Die Frage nach der Zielsetzung bleibt unbeantwortet
Auch nach der Erklärung der DSA-Redaktion ist nicht klar, was eigentlich genau schief gelaufen ist mit der Historia Aventurica. Welche Probleme sollen mit der Überarbeitung behoben werden? Ist es nur ein missverständlicher Halbsatz im Vorwort, der klarer formuliert werden soll? Oder gibt es grundlegende Missstände in der Konzeption des Buches?
Ulisses spricht davon, dass sich während der Arbeiten an dem Buch die Prämissen geändert hätten und nicht alle Texte entsprechend angepasst worden seien. Doch was sind das für Prämissen? Welche Zielsetzung wird überhaupt verfolgt?
Soll die Historia Aventurica ein Buch der Fakten sein? Ein Buch der Legenden? Eine Mischung aus Fakten und Legenden? Bedeutet die Einführung neuer Mythen und Legenden eine Neusetzung des aventurischen Hintergrunds? Oder sind die Angaben im ersten Teil des Buches nur ergänzende Stimmungstexte, subjektiv und interpretierbar und damit ohne echte spielrelevante Bedeutung?
Was will die Historia Aventurica eigentlich?
5 Gedanken zu “Offene Fragen zur Historia Aventurica”
Der geschichtliche Teil kam ja teilweise auch nicht besonders gut an. Abgesehen von kleineren Fehlern wie falschen Datumsangaben oder durch die knappe Schreibweise hervorgerufenen Missverständnissen gibt es kein sinnvolles Kartenmaterial, es gibt keine Quellenhinweise, keine Erklärungen, warum Setzungen so vorgenommen wurden, und sucht man sich Informationen zu bestimmten Themen, wird man dabei von dem Werk nicht unterstützt. Auch Querverweise sucht man eher vergebens.
Ist natürlich auch eine Frage, was für ein Konzept der Band verfolgt.
Das kommt noch hinzu, diese (massiven) handwerklichen Fehler. Ein brauchbarer Index und Kartenmaterial gehören zudem zwingend in ein solches Buch.
Dass zusätzliches Kartenmaterial hinzukommt, wage ich ja noch zu bezweifeln.
Und egal, wie die Erklärung jetzt genau formuliert wurde: Der Redax dürfte bewusst sein, dass auch und gerade die Widersprüche im Mythenteil problematisch bei den Spielern angekommen sind. Wegen ein paar falschen Datumsangaben würde man sicher nicht die komplette Auflage gegen eine Komplettüberarbeitung umtauschen.
Von daher: Ja, dieser Artikel hat einen gewissen wörtlichen Widerspruch aufgezeigt, ich glaube aber nicht, dass der tatsächlich so besteht.
Ich finde gut, dass ulisses keine Schuldzuweisung macht. Es gebietet der Anstand, niemanden an den Pranger zu stellen.
Allerdings teile ich deine Skepsis, ob HA nach der Überarbeitung Topp statt Flop wird.
PS: schön, dass du wieder da bist.