Aventurien fehlen Abenteuer

Worum geht es bei DSA? Geht es um Abenteuer und um Helden? DSA-Quellenbücher für Aventurien lassen anderes vermuten.

Die im Sommer 2016 erschienene Regionalbeschreibung „Die Streitenden Königreiche – Nostria & Andergast“ überzeugt durch stimmungsvolle Beschreibungen, durch Übersichtlichkeit und Struktur, durch abwechslungsreiche Texte in ansprechender Optik. Doch es fehlen: Abenteuer.

Natürlich fehlen sie nicht vollständig. Der Regionalband enthält durchaus den ein oder anderen Abenteueraufhänger und einzelne Beschreibungen von Mysterien und Geheimnissen. Doch das geschieht nur am Rande. Das Buch enthält vor allem Hintergrundmaterial zur Ausgestaltung von Charakteren und Schauplätzen. Wer die Regionalbeschreibung nach Abenteuermöglichkeiten durchstöbert, wer Ideen sucht, wie sich Helden beweisen können, wird nur selten fündig.

Ganz am Ende des Buches, auf den letzten beiden Seiten, werden Ideen für Abenteuer in den Streitenden Königreiche vorgestellt. Insgesamt sind es 24 Vorschläge. Das klingt jedoch nach mehr als es ist.

Generisches Kleinklein

Ein großer Teil der Abenteuervorschläge handeln von Konflikten zwischen verfeindeten oder konkurrierenden Personen oder Gruppierungen. Es geht darum Intrigen aufzudecken, Allianzen zu schmieden oder auch mal ein Attentat zu verhindern. Diese Ideen haben meist einen konkreten Bezug zur Region. Das trifft auch auf Abenteuer zu, die auf der Gefahr durch eindringende Orkbanden basieren oder bei denen die Waldwildnis und die dort liegenden Ruinen erforscht werden sollen. Viele weitere Ideen für Abenteuer sind jedoch sehr kleinteilig und teils so generisch, dass sie überall in Aventurien angesiedelt sein könnten.

Womöglich ist diese Abenteuerarmut auch strukturell bedingt. In einer so kleinteilig beschriebenen Welt wie Aventurien, deren einzelne Teile durch den Metaplot so eng verwoben sind, bleibt wenig Raum für Abenteuer. Größere abenteuerliche Orte und Ereignisse können meist nur im Rahmen der lebendigen Geschichte Aventuriens angestoßen werden.

An dieser Stelle lohnt sich der Blick über den aventurischen Tellerrand.

Abenteuerideen für Splittermond

Im Frühsommer 2016 erschien nahezu zeitgleich mit „Die Streitenden Königreiche – Nostria & Andergast“ die erste Splittermond-Regionalbeschreibung „Selenia – Kaiserreich unter den Monden“. Nicht nur die Veröffentlichung liegt nahe beieinander; die Ähnlichkeiten gehen viel weiter und umfassen Aufbau, Präsentation und Themenwahl.

Diese nahezu identische Herangehensweise bei der Beschreibung einer Region erleichtern den inhaltlichen Vergleich. Beide Regionalbeschreibungen liefern in erster Linie Hintergrundmaterial zur Ausgestaltung von Charakteren und Schauplätzen (und verlieren sich gelegentlich in etwas langatmigen Darstellungen von Nebensächlichkeiten). Die Regionalbeschreibung für Selenia jedoch rückt Abenteuer stärker in den Fokus als das bei der Nostria & Andergast-Beschreibung der Fall ist.

Als Beispiel:

Teil des Kaiserreichs Selenia ist das Herzogtum Winborn. Bereits die Beschreibung dieses Landstriches enthält zahlreiche Aufhänger und Hintergründe für Abenteuer.

In Winborn gibt es

  • Eine Herzogin, die die Vereinigung mit dem rivalisierenden Herzogtum im Norden anstrebt – als Grundpfeiler zu Höherem
  • Das Große Winborner Turnier, das regelmäßig als Anlass dient, um die Politik des Kaiserreiches „ins Herzogtum zu holen“
  • Bewaffnete Territorialstreitigkeiten an der Nordgrenze
  • Marodierenden Banden und Raubrittern am Grenzfluss
  • Einen Klan Bergtrolle, der im Südosten für Unruhe sorgt
  • Rattlingshorden, die an der Westgrenze aus dem sogenannten Unreich einsickern

Dann ist da noch

  • Ein Felsriese, der über eine dünn besiedelte Baronie herrscht und aus unbekannten Gründen den Abbau des dort reichhaltigen Golderzes und die Suche nach Mondsteinen verbietet
  • Verborgene Kammern mit heißen Quellen unter der Hauptstadt des Herzogtums, in denen hunderte Drachlingseier darauf warten sollen, eine neue Generation der alten Herrscherrasse hervorzubringen

Und

  • Die Sturmfeste: die gewaltige Ruine einer ehemaligen Drachlingsfestung
  • Das Schattenfeld: eine öde und steinige Gegend, unter der sich ein riesige unterforschte Anlage befindet, die bis in die schwärzte Finsternis führen soll
  • Die Düsterwacht: die Ruine einer weiteren alten Festung, die selbst von den Trollen gemieden wird
  • Wira-Stelen: singende Felsen, in denen die Stimme der dort angeketteten dunklen Fee Wira zu hören sein sollen
  • Drugonsschacht: eine angeblich bodenlose Felsspalte, zu der Handwerker kommen, um dem Gott Drugon besondere Handwerkskunst zu opfern

Parallelen zur DSA-Beschreibung sind offensichtlich. Insbesondere der Territorialkonflikt, aber auch die einfallenden Rattlinghorden (statt Orkhorden) und die Möglichkeiten zur Erforschung von Ruinen erinnern an Nostria und Andergast.

Abenteuer vs. Simulation

Der Unterschied ist allerdings: All diese Abenteuerideen werden nebenbei im Rahmen der gerade mal dreiseitigen Beschreibung des Herzogtums Winborn erwähnt. Allein beim Lesen dieser Beschreibung entsteht das Bild einer abenteuerlichen Region, einer Region für Helden.

Nun ist das Herzogtum Winborn womöglich nur eine ungewöhnlich abenteuerliche Region der Splittermond-Welt Lorakis. Und Aventurien hält durchaus abenteuerlichere Regionen als Nostria und Andergast bereit.

Unterm Strich bleibt jedoch der Eindruck: Splittermond nutzt seine Freiheiten und Möglichkeiten viel stärker als DSA, um Abenteueraufhänger zu schaffen. Das Schwarze Auge hingegen scheint vor allem eine möglichst stimmungsvolle und in sich stimmige Simulation einer Fantasywelt sein zu wollen.

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