Ratgeber für Rollenspieler üben auf mich eine morbide Faszination aus – vergleichbar mit dem Anblick eines Verkehrsunfalls: Es ist schrecklich, aber man kann nicht wegsehen. Durch diesen Beitrag auf dem 3W20-Blog bin ich auf das Buch Gamemastering von Brian Jamison aufmerksam geworden. Diese Spielhilfe für Spielleiter ist zwar nicht ganz neu, war mir bislang aber unbekannt.
Das Buch ist nicht schrecklick. Ganz im Gegenteil. Gamemastering enthält auf über 300 Seiten Tipps und Ratschläge und wird hier kostenlos zum Download angeboten. Wer sich kurz über einige der wichtigsten Aussagen des Buchs informieren möchte, der sei erneut auf den 3W20-Text verwiesen. Dort gibt es das Nachwort des Buches: Die 15 besten Arten, um das Spielleiten zu verbessern und Die 10 häufigsten Fehler beim Spielleiten. Trotz des interessanten Inhalt kann ich mit Gamemastering aber wenig anfangen. Die Ratschläge sind mir häufig zu verallgemeinernd und zu verbissen.
In seinem Vorwort zu Gamemastering gibt sich Autor Brian Jamison noch offen und versöhnlich. Das Wichtigste sei der Spaß. Was in dem Buch steht, sei nur seine Meinung. Jeder Leser soll das aus dem Buch annehmen, was für ihn Sinn ergibt. Das klingt gut. Doch irgendwie passt das offene Vorwort nicht zum Rest des Buches.
Die Ratgeberliteratur leidet meist daran, dass die Autoren individuelle Erfahrungen verallgemeinern und einen universellen Gültigkeitsanspruch postulieren. Ähnlich läuft es in Gamemastering. Vor allem die Formulierungen nerven: Tu dies! Lass jenes! Befolge Regel A! Achte auf Punkt B! Mir rollen sich die Fußnägel auf, wenn ich lese:
„Es ist eine extrem schlechte Idee, für das Spiel ein Kaufabenteuer zu verwenden.“
Viele der Ratschläge in Gamemastering mögen für den Autor hilfreich sein und in seiner Gruppe funktionieren – weil er eine ganz bestimme Art von Rollenspiel im Kopf hat. Andere Gruppen bevorzugen aber andere Herangehensweisen an das gemeinsame Spielerlebnis. Was in der einen Rollenspielgruppe großartig funktioniert, kann in der anderen kolossal scheitern.
Vom Speziellen zum Allgemeinen
Dabei sind die Ratschläge in Gamemastering nicht schlecht, doch häufig viel zu speziell. In Gamemastering wird zum Beispiel die Verwendung eines „Session Openers“ empfohlen, der den Spielabend einleitet. Angepriesen wird ein Standard-Einstieg, der den gewünschten Ton vorgibt und die Spieler in ihre Rollen versetzt. Folgenden Text soll der Spielleiter zu Beginn der Spielsitzung vortragen:
„Lasst uns 500 Jahre zurückreisen in eine Welt, in der sich Neuigkeiten mit der Geschwindigkeit von Segeln oder Hufeisen verbreiten – in eine Welt, in der Auseinandersetzung ebenso häufig mit Klingen wie mit Worten ausgefochten werden – in eine Welt, in der furchterregende Monster durch die Wildnis streifen. Eine Welt, in der die Magie schwindet und das Zeitalter machtvoller Zauberer sich dem Ende nähert. Wir kehren nun zurück auf die Insel Anneborn, der größten Insel der Celephon-Kette.“
Der Einstieg ist gut. Das hat was, erzeugt direkt die richtige Stimmung. Schwierig wird es aber, wenn ich diesen Einstieg vor jedem Spielabend in Aventurien rezitiere. Wiederholungen sind öde. Ein wenig skurril ist aber der Vorschlag des Autors, was der Spielleiter nach diesen einleitenden Worten sagen soll:
„In der nächsten Minute betrachtet nochmal Euer Charakterblatt und versetzt Euch in Eure Rolle. Achtet besonders auf Eure Eigenarten, Charakterzüge und Eure Ziele. Erweckt Euren Charakter zum Leben. Werdet Euer Charakter.“
(Pause für eine Minute.)„Ihr seid an Bord der … usw… usf…“
Puh. In meiner Gruppe würde diese – ich nenne sie mal so – Einfühlungsminute maximal 15 Sekunden dauern. Spätestens dann hätte irgendjemand einen dummen Spruch gebracht. Das heißt nicht, dass dieser Einstieg grundsätzlich schlecht ist. Er ist aber auch nicht grundsätzlich empfehlenswert. In manchen Gruppen kann ein solcher Einstieg großartig funktioniert, in anderen wird er scheitern.
Dabei ist ein „Session Opener“ als Einstieg in den Rollenspielabend gut und wird auch in unserer Gruppe praktiziert. Wie dieser Einstieg aussieht, hängt aber immer von der Gruppe ab. Manche Gruppen nutzen solch einen Standardeinstieg, andere fassen gemeinschaftlich die Ereignisse des vergangenen Abends zusammen oder beginnen mit der Beschreibung ihrer Charaktere. Es soll sogar Gruppen geben, die vor jedem Abend den rituellen Würfeltanz zur Beschwichtigung des launischen Gotts des Zufalls aufführen.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
Es sind aber nicht die nur scheinbar hilfreichen Ratschläge, die Gamemastering fragwürdig wirken lassen. Die Tipps, die wenig sinnvoll erscheinen, lassen sich ignorieren. Es ist viel mehr der verbissene Blick auf das Rollenspiel, der bei mir Unbehagen hervorruft.
In Gamemastering klingt Rollenspiel nicht nach einer ungezwungenen Freizeitbeschäftigung, sondern nach einer durchreglementierten Arbeit. Nur wer sich an die Vorgaben hält, wer Rollenspiel auf die richtige Weise spielt, wird Rollenspiel irgendwann genießen können. Den Spaß am Spiel muss man sich erarbeiten.
Dieser Zugang zu einem eigentlich ungezwungenen Ereignis erinnert an den berüchtigten Karnevals-Startschuss „Kommando: Fröhlich!„. Das klingt alles nach: „Willkommen zur unserer Rollenspielsitzung. Es ist 19.30 Uhr. Gemäß der Tagesordnung haben wir ab sofort Spaß zu haben.“ Es erinnert an Loriots Weihnachten bei Hoppenstedts, wo es einen ausgeklügelten Ablaufplan für den Heiligen Abend gibt, der strikt befolgt werden muss, bis man es sich schließlich „gemütlich“ machen kann.
12 Gedanken zu “Gamemastering – Ein Ratgeber für Spielleiter”
Ich freu mich ausdrücklich, Euch hier beipflichten zu können! Naja, bei solchen Büchern muss man immer gucken, was man rausziehen kann und möglicherweise kommt der ernste Unterton aus dem englischen, dass man es schärfer übersetzt, als es im Original gemeint ist.
Moin,
wenn ich jetzt deinen Beitrag lese habe ich das Gefühl du hast das Buch nicht in seiner Gänze gelesen oder aber verstehst die Intention nicht.
Zurerst, ich bin von dem Buch begeistert und vieles was auf diesen 300 Seiten steht habe ich durch nerviges try&error in den letzten Jahren des Leitens für mich auch so rausgefunden. Daher war es für mich eher eine super Erfahrung, das was ich mache auch andere in langen Jahren so für sich herausgefunden haben. Immerhin hat der Autor über 30 Jahre Efahrung im Leiten und das Buch gur 7 Jahre Entstehung hinter sich. So weiter zu meiner Einleitung.
“Es ist eine extrem schlechte Idee, für das Spiel ein Kaufabenteuer zu verwenden.”
Hier bist du gegenüber dem Buch sehr unfair. Den dieser Satz steht förmlich am Ende einer längeren Herleitung wie man das Rollenspiel für sich und seine Spieler besser machen kann. Brian stellt in einem langen Absatz das Herangehen an das Finden einer Rollenspielrunde und das festsetzen des Setting auf den Kopf. Für ihn stehen die Spieler und deren Helden im Zentrum. Wenn man darüber dann ein Kaufabenteur stülpt frustriert das… kann man ja mannigfaltig lesen (siehe Lichtsucher und die Frage nach Magiern…). Überdies hat ein Kaufabenteuer schon ein Ziel und wenn der Spielleiter versucht, dies zu erreichen, kann das Frust bei den Spielern auslösen, da diese ja nichts machen können. Selber schon so im Jahr des Feuers erlebt, da rennt man dem Plot nach. Folgt man dieser Argumentationskette (habe was weggelassen) dann frage ich mich wie du zu deinem Schluß kommst…
„Puh. In meiner Gruppe würde diese – ich nenne sie mal so – Einfühlungsminute maximal 15 Sekunden dauern. Spätestens dann hätte irgendjemand einen dummen Spruch gebracht. Das heißt nicht, dass dieser Einstieg grundsätzlich schlecht ist. Er ist aber auch nicht grundsätzlich empfehlenswert.“
Auch hier vereinfacht du extrem und reißt die Sachen leicht aus dem Kontext. Wie du schon schreibst, ist die Idee, dass man sich auf die Sache – das Rollenspiel – konzentriert und das am besten erreicht. Wenn man an Rollenspiel (und der Illusion des Disbelieve) Interesse hat und sich nicht zu einer lockeren Plauderrunde mit Würfeln trifft, dann ist das sicherlich sehr hilfreich. Auch sollte man hier nicht vergessen, dass es dem Spielleiter helfen kann seine Runde zu disziplinieren und dann alle Gemeinsam los spielen können.(By the way, in dem entsprechenden Absatz springst du auch extrem in deiner Meinung.)
„Es sind aber nicht die nur scheinbar hilfreichen Ratschläge, die Gamemastering fragwürdig wirken lassen.“
Also das ist jetzt echt mal ein Satz 😉 Fragwürdig für wenn? Werden also Spielleiter schlechter, wenn sie dieses Buch lesen? Ich weiß auch nicht wo du da einen Verbissen Blick auf das Rollenspiel extrahierst. Gut der Autor hat seine Ansichten aber er schreibt sie nicht immer so hin sondern leitet seine Ansichten auch argumentativ her. Das er dann zu einer Meinung kommt finde ich sehr begrüßenswert.
„In Gamemastering klingt Rollenspiel nicht nach einer ungezwungenen Freizeitbeschäftigung, sondern nach einer durchreglementierten Arbeit.“
Und genau der Gegenteil ist der Fall. Brian beschreibt, wie der Spielleiter eben nicht alles durchregeln soll sondern sich effizient mit ein paar Tricks gut durch den Spielabend wuselt und _alle_ dabei Spaß haben. Wie er seinen Bereich hinter dem Spielleiterschirm organisieren kann und durch ein paar Kniffe sich nicht Stundenlang vorbereiten muss sondern eben nur ein paar Minuten. Der Autor beschreibt, wie es der Spielleiter zusammmen mit den Spielern schaffen kann, das die erlebte Geschichte von den Spielern getragen wird.
Schlussendlich muss ich dir – glaube ich – absprechen das Buch vollständig gelesen oder verstanden zu haben bzw. nicht die Art von Rollenspiel zu spielen die Brian beschreibt.
Mit besten Grüßen
Schreckse
DISCLAIMER: Der Kommentator ist Didalos zugeneigt und spielt schon seit Jahren keine Kaufabenteuer mehr. Zudem fröhnt er einer Art des Rollenspiels wie es auch der Autor des Buches tut.
Erstmal Danke für den Kommentar. Eine andere Sicht auf das Buch ist für potenziell interessentiere Leser auf jeden Fall hilfreich. Ich bleibe aber trotzdem bei meiner Ansicht. 😉
Die beiden Textpassagen, die ich zitiert habe, sind IMO sehr hilfreich, wenn man einen Einblick in die Sichtweise des Autors von Gamemastering bekommen möchte. Ich denke nicht, dass sie aus dem Kontext gerissen sind, sondern wunderbar Rückschlüsse auf den Kontext erlauben.
Die Sache mit den Kaufabenteuern ist – da hast Du völlig recht – nur der Schlusspunkt in einer längeren Argumentationskette. Aber dieser Schlusspunkt zeigt anschaulich, in welche Richtung die Ratschläge in dem Buch gehen. Das Buch propagiert eine bestimme Art des Rollenspiels (die du bereits kurz beschrieben hast). Diese Art ist aber nicht für jeden Rollenspieler interessant. Außerdem ist diese Art nicht zwangläufig eine bessere Art. Das hängt von individuellen Wünschen und Interessen ab.
Allerdings ist der Autor von Gamemastering durchaus davon überzeugt, dass seine Art die bessere Art ist und mehr Spaß brächte. Das stimmt aber nicht. Manche Spieler finden das besser, andere nicht. Um das zu zeigen, habe ich die zweite Textpassage als Beispiel zitiert (die mit der Schweigeminute). In manchen Gruppen mag das toll funktionieren, in anderen nicht.
Den verbissenen Ansatz auf das Rollenspiel hast Du übrigens mit Deinen Worten unfreiwillig unterstrichen. 😉
Du schreibst, dass so eine Schweigeminute dem Spielleiter helfen kann „seine Runde zu disziplinieren“.
Ich zähle es nicht zu meinen Aufgaben, meine Runde zu disziplinieren. Ich weiß, dass es Runden gibt, die das anders sehen. Bei denen hat Rollenspiel auch etwas mit Disziplin zu tun. Da geht es um Ernsthaftigkeit. Bei mir nicht. In anderen Runden soll Rollenspiel keine Plauderrunde mit Würfeln sein. Bei mir ist es das manchmal. Nicht immer. Manchmal schon. Ist mir aber egal, weil wir trotzdem Spaß haben. Für mich ist Rollenspiel eine ungezwungene Freizeitveranstaltung mit netten Menschen. Der Spaß entsteht durch Geselligkeit, nicht durch Disziplin. Deswegen ist Gamemastering nichts für mich.
Ich denke hier kommen zwei Dinge zusammen.
Einerseits geht es um die Einforderung von Verhalten bei den Spielern. Das ist Erziehung von Leuten, bei denen es mir als SL gar nicht zusteht sie erziehen zu wollen. Da bin ich auch kein Freund von.
Andererseits können, wertfrei betrachtet, Tipps im Umgang mit Spielern, Strukturierung von Abenteuern usw. durchaus interessant sein. Ohne Absolutheitsanspruch, aber als mögliche Alternativen, an die man als Leser so vielleicht gar nicht gedacht hätte. Ob man das dann auch so umsetzt oder als Anregung anderweitig verarbeitet, ist natürlich ein ganz anderer Turnschuh.
Moin,
ich möchte zuerst nochmal auf eine sehr anschauliche Rezi hier verweisen: http://www.myrpgame.com/2011/08/08/gamemastering-a-review/
Ich schätze es mit dir zu diskutieren, aber vorweg, hast du das Buch gelesen? Bzw. grob quer gelesen? Das müssten wir als Grundlage vorher klären. Wo findest du eigentlich den Satz im Orginal in dem Buch? Ich würde gerne selber den Kontext drum herumlesen.
Zu Disziplin möchte ich mich textlich nicht mehr äußern, da versagt irgendwie das Medium und wir haben einfach andere Vorstellungen von einer gelungenen Rollenspielsession. Und das ist ja auch der erste Tipp von Gamemastering: Choose your players wisely.
Besten Gruß
Ja, ich hab das Buch gelesen. Das mit dem Session Oper findet sich auf S. 175
3W30-Blog Ab sofort Spiele ich DSA auch mit 3W30^^
solche Bücher sind immer eine gute Idee aber Schade es gibt so viele für den Spielleiter und keins für den Spieler. Gerade Spieler gibt es doch mehr als Spielleiter und hätten es gewisse Spieler nicht nötiger, wie man Schöner spielt 😉
Nach der Kritik an den 3W20-Proben wird Ulisses für DSA5 auf 3W30 setzen. Hast du das noch nicht gewusst?
(Okay, okay, ich habs mal geändert…)
Ich hab auch mal in einer Runde mit Einführungsmusik + Pflichtschweigen gespielt, und sogar mit zwischen den Spielern wechselnder Tagebuchpflicht, und nach dem ersten Abend, an dem es zumindest noch als Experiment interessant war, fand ich es nur noch nervig. Ich möchte als Spieler nicht verpflichtet werden „Stimmung“ zu generieren. Wenn es das Abenteuer und die anderen Spieler hergeben, dann kopfüber ab in die Immersion. Wenn es aber eher auf lustigen Unfug hinaus läuft, ist das für mich auch ok. Auf Kommando „Stimmung“ erzeugen zu wollen finde ich schlichtweg befremdlich.
Ich habe mich mal in das Buch eingelesen. Einige Ideen sind sicherlich ganz nett, aber vieles klingt nach „Gutem Rollenspiel TM“. Gerade solche Empfehlungen wie man Spieler zu „Gutem Rollenspiel“ zwingen kann und Verbote von realen Gesprächsthemen am Spieltisch stoßen mir wirklich übel auf. Allein über den Terminus „GameMASTER“ könnte man sich auch stundenlang streiten.
Meine Erfahrung sagt mir: wenn die Stimmung am Spielabend passt und alle an einem Strang ziehen gibt es jede Menge „Gutes Rollenspiel TM“ und das ganz ohne diesen dämlichen Zwang. Und wenn die Stimmung halt mal albern ist und alle über Fußball reden wollen ist das auch okay. Es ist immer noch ein Hobby und es geht doch eigentlich darum Spaß zu haben 🙂
Persönlich finde ich für mich bemerkenswert, dass ich schon öfter bei diesen Diskussionen auf die Annahme gestoßen bin, dass man sich eine Runde bzw. Spieler zusammensucht. Da wird man sicherlich mit ganz anderen Herausforderungen und Fragen konfrontiert. Für mich ist es deshalb oft befremdlich, sich solche Gedanken zu machen, weil ich seit 18 Jahren mit der gleichen Gruppe (wenn überhaupt nochmal *seufz*) spiele. Daraus ergeben sich glaube ich wirklich auch ganz andere Ansprüche an das spielen. Tja, spannend! übrigens, kennt ihr das hier:
http://www.sphaerenmeisters-spiele.de/Spielleiten-Dominic-Waesch
Ist vielleicht etwas anders gelagert, aber echt hilfreich und gut. Nicht nur, weil ich den Autor mag! 😀