Das Güldenland-Projekt erklimmt die nächste Stufe. Meine Annäherung an diese ferne Spielwelt, die irgendwie auch DSA sein will, führt mich heute auf den Wegen nach Myranor. Bereits für meine vorherige Projekt-Etappe hatte ich mich durch dieses Regelbuch geblättert. Doch weiter als 50 Seiten bin ich bei der ersten Betrachtung nicht gekommen. Zu sehr wurde meine Aufmerksamkeit von der größten Merkwürdigkeit der Spielfeld gefesselt: All die abgedrehten Spezies, die auf, über und in Myranor laufen, fliegen und schwimmen.
Nachdem ich diesen ersten Schock überwunden diesen interessanten Aspekt ausführlich betrachtet habe, soll nun der Rest des Buches begutachtet werden. Schon jetzt sei verraten: Wege nach Myranor (WnM) widerlegt eindrucksvoll meine These, nach der Myranor kein DSA sei. Vielmehr ist WnM ist so typisches DSA-Buch, wie es nur typisch sein kann, und ganz eng mit Wege der Helden verwandt. Was nicht immer gut sein muss. Doch der Reihe nach…
Vor genau einem Jahr veröffentlichte der Uhrwerk Verlag mit Wege nach Myranor das neue Regelwerk für die Erschaffung myranischer Helden. Auf rund 220 Seiten liefert der Band Schritt für Schritt die notwendigen Informationen, um den gewünschten Charakter zu erstellen. Am bekannten DSA-Konzept ändert sich dabei grundsätzlich nichts. Es bleibt bei Generierungspunkten und dem Baukastensystem. Ist Wege nach Myranor also nur die Fellausgabe von Wege der Helden? Nicht ganz. Es gibt duchaus Unterschiede – teils sogar deutliche.
Neue Ansätze der Heldenerschaffung
Das DSA-Konzept der Heldenerschaffung hat schon so manches Adjektiv erhalten: Detailliert, komplex, kompliziert, unübersichtlich, strukturiert, interessant, langweilig, zeitraubend, nervtötend. Ich wähle: Unausgewogen.
Das Kaufsystem mit den Generierungspunkten ist genau das. Unausgewogen. Wenn ein Regelwerk schon mit Kaufpunkten arbeitet, sollte der Einsatz eines Punktes stets den gleichen Nutzen stiften. DSA leistet das häufig nicht. Wege nach Myranor versucht es besser zu machen – traut sich aber nicht richtig.
Die Wahl der Rassen (oder Spezies, wie es hier heißt) funktioniert weiterhin wie in Wege der Helden – mitsamt den angesprochenen Problemen bei den GP-Kosten. Beispiel: Die Ashariel, immerhin eine flugfähige Spezies, kosten 16 GP, während die Zentauren, deren einziger echter Vorteil der Beritten-Bonus ist, satte 25 GP kosten. Diese GP-Gewichtung erscheint zumindest fragwürdig.
Die Ungleichgewichte bei den Generierungskosten hat Wege nach Myranor vom DSA4.1-Regelsystem geerbt. Kann man das dem Band vorwerfen? Zum Teil schon. WnM hätte es anders machen können. Notwendig gewesen wäre dafür ein Bruch mit dem bisherigen Erschaffungsregeln und eine Abkehr von den Generierungspunkten. Das klingt zu radikal? Bei der Wahl der Kulturen macht Wege nach Myranor genau das.
Keine Qual der Kultur-Wahl
Die Zahl der Kulturen wurde in Wege nach Myranor deutlich verringert. Bei der enormen Größe und Vielfalt Myranors erschien es offenbar nicht sinnvoll, jedem Landstrich eine eigenen kulturellen Hintergrund zu geben. Zur Wahl stehen daher nur sieben Kulturen:
- Barbarische Kultur
- Bäuerliche Kultur
- Höfische Kultur
- Maritime Kultur
- Nomadische Kultur
- Städtische Kultur
- Vagabundische Kultur
Bei der Wahl der Kultur verabschiedet sich das myranische Regelwerk de facto vom Konzept der Generierungspunkte. Alle Kulturen kosten genau 0 Punkte und liefern in der Summe ungefähr die gleiche Menge an Boni. Damit soll vermieden werden, dass sich Spieler bei der Wahl der Kultur zu sehr von Kosten-Nutzen-Überlegungen leiten lassen.
Die Boni der jeweiligen Kulturen können Spieler relativ variabel auf eine ausgewählte Liste an Talenten verteilen. Diese größere Wahlfreiheit und gleichzeitige Beschränkung der Kulturenvielfalt ist eine der größten Fortschritte von Wege nach Myranor gegenüber Wege der Helden. Leider wird dieser vielversprechende Weg nicht konsequent weiter verfolgt. Nur einen Schritt später, bei der Wahl der Professionen, kehrt das Regelwerk wieder auf die bekannten DSA-Pfade zurück.
Anders – und doch gleich: Die Wahl der Professionen
Die Zahl der Professionen streicht Wege nach Myranor ebenfalls deutlich zusammen. Ähnlichen wie bei den Kulturen werden mehrere Professionen zu einer „Oberprofession“ zusammengelegt. Doch ganz so radikal wie bei den Kulturen wird nicht gekürzt. Die übrig gebliebenen Professionen sind immer noch relativ spezialisiert.
Als Beispiel soll die Liste der kämpferischen Professionen dienen. Es gibt:
- Athlet
- Gladiator
- Gossenschläger
- Leibwächter
- Ordnungshüter
- Schiffskämpfer
- Soldat
- Wildniskrieger
Im Vergleich zu Aventurien sind das zwar weniger Profession. Wege nach Myranor hätte aber noch deutlich mutiger sein können. Warum nicht die Zahl der Professionen ähnlich radikal reduziert wie die Kulturen? Warum sich nicht auf sechs Professionen beschränken?
- Kämpferische Profession
- Wildnisprofession
- Gesellschaftsprofession
- Handwerksprofession
- Magische Profession
- Priesterliche Profession
Die detaillierte Ausgestaltung der gewählten Profession läge ganz in der Hand der Spieler. Diese bekämen für jeden Talentgruppe eine bestimmte Zahl von Boni, die sie auf die einzelnen Talente verteilen könnten. Die kämpferische Profession erhielte beispielsweise mehr Boni auf die Kampftalente, dafür weniger auf die Wissentalente. Je nach Verteilung wird aus der kämpferischen Profession so ein Stadtgardist oder ein Seesoldat.
Ergänzt würden die sechs Professionen um Spezialisierungen, die zusätzliche Boni bringen. Spezialisierungen wären beispielsweise für Akademiekrieger oder Magier notwendig. Einen ähnlichen Weg verfolgt WnM bereits im Bereich der magischen Professionen. Dort wird jede Profession mit einem Traditionsaufsatz ergänzt, der die Unterschiede zwischen den „Repräsentationen“ abbildet.
Könnte eine solche Heldenerschaffung mit nur sechs möglichen Professionen in einer DSA-Welt funktionieren? Vielleicht. Es ist nur eine spontane Idee. Aber warum nicht? Man müsste es mal testen. Doch Wege nach Myranor hat sich dafür entschieden, an dieser Stelle keine Experimente zu wagen.
Das gilt auch für den Rest des Buches. Der Wahl der Professionen folgt eine lange Liste von Vor- und Nachteilen und Sonderfertigkeiten, die an einzelnen Stellen an myranische Besonderheiten angepasst wurden. Änderungen im Vergleich zu Wege der Helden gibt es nur in Details.
Und das Fazit?
Hatte ich kürzlich noch ausführlich begründet, warum Myranor kein DSA ist, belehrt mich Wege nach Myranor eines Besseren. Dieses Regelbuch ist pures DSA. Was ist in diesem fall nicht nur als Kompliment gemeint ist.
Mit aller Brutalität macht Wege nach Myranor deutlich: Auf dem Westkontinent gelten die gleichen Regeln wie auf Aventurien. Die Erschaffung myranischer Helden ist eng in das starre DSA-Regelkorsett eingeschnürt. Wer mit den DSA4.1-Regeln grundsätzlich zufrieden ist, wird mit WnM mehr als nur zufrieden sein. Wer hingegen eher nicht zufrieden ist, darf keine allzu großen Hoffnungen in das Buch setzen.
Wege nach Myranor weicht nur an einzelnen Stellen von den DSA4.1-Vorgaben ab. Die Wahl der Kulturen ist eine solche Stelle. Leider gibt es zu wenig Beispiele für weitere sinnvolle Vereinfachungen. So liefert WnM nur einzelne Fingerzeige, in welche Richtung sich das DSA-Regelwerk entwickeln könnte. Vor dem Hintergrund der aktuellen DSA-Umfrage ist das aber nicht uninteressant.
So… und nach diesem Gemecker kommt nun das Positive. So schlecht wie es zunächst klingt, fällt mein Fazit nämlich nicht aus. Wege nach Myranor ist sogar der eindeutig beste DSA-Regelband, den ich bislang in den Händen gehalten haben. Übersichtlich, an einzelnen Stellen entschlackt, gut strukturiert und sinnvoll verbessert. Wenn ich also meine grundsätzliche Abneigung gegenüber den DSA-Generierungsregeln mal beseite schiebe, bleibt dieses Fazit: Wege nach Myranor ist ein rundum gelungenes Buch.
3 Gedanken zu “Der nächste Schritt in Richtung Güldenland: Wege nach Myranor”
Lustig, dass Du ernsthaft den Vorschlag machst, die Professionen auf sechs zu reduzieren. Das hab ich bislang nur in sarkastischer Form gehört, nämlich um zu verdeutlichen, warum die Metakulturen so fürcherlich sein sollen.
„Wer mit den DSA4.1-Regeln grundsätzlich zufrieden ist, wird mit WnM mehr als nur zufrieden sein.“
Oh, ich habe mehrfach Anhänger des 4.1 Systems schreien hören, Wege nach Myranor sei kein DSA4 mehr… und zwar besonders wegen der Kulturen.
Ich bin selber sehr angetan von den Veränderungen im Generierungssystem und würde mich über weitere Schritte in diese Richtung sehr freuen.
Die extrem überteuerten Zentauren wurden übrigens per Errata schon etwas billiger gemacht. Trotzdem ist Ausgewogenheit weiterhin eine Baustelle.
Dem Fazit kann ich mich anschließen. Das habe ich bisher sogar bei allen Myranor-Regelbüchern gedacht die ich in der Hand hatte. Ganz aktuell auch bei Myranische Monstren.
Die Jungs und Mädels von Uhrwerk machen im Rahmen der Möglichkeiten von DSA4 einen sehr guten Job. 🙂
Tjaja…
Die guten Metha-Kulturen… Sie spalten die Spieler-Schaft, wie sonst nur Pulverwaffen 😀
Ich für meinen Teil finde sie im Grundsatz gut, in der Umsetzung aber eher Bescheiden. MEn hätte man sie doch etwas stärker Strukturieren müssen, um so zwischen einem Stadtbewohner im Gebirge, einem aus der Savanne, einem an der Küste und einem unter der Meeresoberfläche unterscheiden zu können (was mit den Paketen nicht zeitlich mit der regionalen Differenzierung ohne S-AP möglich ist. Nur sind S-AP dafür eigentlich nicht gedacht).
Grade beim letzten trift man auf das Problem, das die Maritime-Kultur auf Küstenbewohner zugeschnitten wurde und man so einen Risso im Grunde nicht generieren kann… (muss man zwar mEn auch nicht, aber das ist nicht Sinn und Zweck von WnM).
Bei den Proffessionen stöhrt mich ehrlich gesagt deutlich mehr, das man den Baukasten nicht auf das selbe Konzept wie die übrigen Proffs. getrimmt wurden.
Zahlt man sonst 0 oder 10 GP für die Prof. (Geweihte sind keine eigene in dem Sinne), so schwanken die GP-Kosten bei den Magiern in alt bekannter Manier. Hier hätte man sich nochmal etwas trauen, und auch diese 10/20/30 (oder 15/25/35) GP für V/H/Z trimmen, sollen.