Zufallsbegegnungen sind Relikte aus grauer Rollenspiel-Vorzeit. Die Tabellen, die einst in jedem DSA-Buch zu finden waren, verschwanden irgendwann nicht nur aus Abenteuern und Spielhilfen, sondern auch aus meiner Wahrnehmung. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt auf eine Tabelle für Zufallsbegegnungen gewürfelt habe. Lang ist es her. Zu lang.
Offenbar ist mir ein interessantes Rollenspiel-Element entgangen. Nachdem ich mir auf den Selemer Tagebüchern das Vademecum des Reisenden angeschaut habe, muss ich sagen: Künftig wird wieder gewürfelt.
Zufallsbegegnungen können demnach eine Reihe von Vorzügen haben.
Zufallstabellen:
- beschreiben, was typischerweise in der Situation/Region geschieht
- unterstützen die freie Bewegung der Helden innerhalb eines Settings und zwingen sie nicht mehr zum Abklappern gescripteter Szenen
- verleihen der Spielwelt mehr Tiefe, weil sie den Alltag der Spielwelt erlebbar machen
- wirken dem Eindruck entgegen, dass das Abenteuer nur nach Ermessen des Spielleiters abläuft
- funktionieren als Kreativwerkzeug für neue und ungewohnte Ereignisse
- simulieren die Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit einer Reise
- unterbinden die Metagame-Überlegungen der Spieler, was der Spielleiter sich wohl bei einer bestimmten Szene denkt und was der Plot von ihnen hier erwartet
Nicht jeder Aspekt, nicht jede Zufallstabelle, nicht jeder Tabellenwurf muss in der jeweiligen Situation sinnvoll sein. Aber, wie es im Vademecum auch steht, Zufallstabellen können EIN möglicher Baustein für unterhaltsames Rollenspiel sein. Gerade dann, wenn ein Abenteuer mal wieder zu sehr dem Schienenverlauf folgt, werde ich künftig die Würfel werfen und eine hoffentlich interessante Zufallsbegegnung einbauen können.
26 Gedanken zu “Die Würfel des Zufalls”
Sehr richtig, Zufallstabellen werden oft zu Unrecht mit „antiquiertem Rollenspiel“ in Verbindung gebracht. Mitunter können sie aber sehr hilfreich und gut sein, gerade in freieren Settings oder Abenteuern.
Insofern: Daumen hoch für den Beitrag!
Volle Zustimmung! Ein dreifaches „Hurra“ für Zufallstabellen!
Das Problem bei Zufallstabellen aus Meistersicht ist für mich das ich auch selber nicht weiß wann was kommt. Ich habe deswegen früher oft gewürfelt und dann das ausgesucht aus der Tabelle was ich grade toll fand. Das Würfeln war dann immer nur Showeffekt für die Spieler.
Ich muss sagen, ich sehe den Sinn von Zufallstabellen auch weiterhin nicht. Klar, eine Menge an Ideen für Miniszenarien sind was tolles – aber was soll der Zufall dabei? Was ist der Vorteil für die Spielrunde, wenn der Meister genauso überrascht vom Erscheinen des Bauern mit dem kaputten Karren am Wegesrand ist wie die Spieler? Mir fällt keiner ein. Weiß der SL hingegen im vorhinein, dass der Bauer kommen wird, kann er sich auch darauf vorbereiten, was denn ein Bauer mit einem liegengebliebenen Karren am Wegesrand der Reichsstraße 3 so zu sagen haben wird, was ihm durch den Kopf geht, wie er sich eventuell mit der restlichen Spielwelt verflechten lässt.
Den einzigen Nutzen sehe ich eigentlich darin, wenn der SL bewusst Macht aus der Hand geben will, um zu demonstrieren „jetzt halte ich nicht mehr die schützende Hand über euch, jetzt geschehe was wolle.“ Also beispielsweise, wenn die SCs sich in Feindesgebiet befinden und es jederzeit dazu kommen könnte, dass eine Patrouillie sie aufspürt. Wenn dann die Spieler nicht auf die Idee kommen, irgendetwas zu unternehmen, was diese Gefahr ausschließt, würde ich eine Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der sie pro [beliebige Zeiteinheit] von einem Trupp der Größe X entdeckt werden und entsprechend würfeln. Das kann dann gutgehen – nicht jedesmal, wenn man bei rot über die Straße geht, wird man überfahren – oder eben nicht.
Zufallstabellen sind hilfreich, wenn die Spieler vom geplanten (Abenteuer-)Weg abweichen. Dann muss der Spielleiter ohnehin improvisieren. Dabei kann er sich von den Tabellen inspirieren lassen.
Ob man in solchen Situationen würfelt oder sich eine „passende“ Begegnung rauspickt ist vielleicht Geschmackssache.
@ Cifer
Eine gute Zufallstabelle liefert ja nicht nur die Information, das dort ein Bauer an der Strasse ist. Sie liefert mehr Informationen. Sie überrascht den SL nicht nur, sie zwingt ihn Kreativ zu sein, und intressante Geschichten zu entwickeln, die er sonst evt nicht entwickelt hätte.
Sie hilft dem SL aus ausgetretenen Pfaden oder aus Inspirationslücken heraus. Vor dem Spiel, aber auch im Spiel. Vor den Spiel kann man Dinge ausarbeiten, im Spiel kann man flexibel auf Ideen und Handlungen der Spieler reagieren.
z.B.
1 Bauer
2 Ritter
3 Geweihter
4 Oger
5 Elf
6 Niemand
1 Fröhlicher
2 Schlafender
3 Trauriger
4 Predigender
5 Blinder
6 Besoffener
zweimal mit zwei w6 würfeln und Kombinieren:
z.B. ein schlafender Oger und ein fröhlicher Bauer!
Oder ein besoffener Elf und ein blinder Ritter
Abschließend kommt natülich noch der Faktor, dass man einfach den Zufall innerhalb der Welt simuliert, die Verantwortung auf den Würfel legt, wie du schon selbst ausgeführt hast.
Sie können bestimmt ein netter Füller sein für längere Reisen. Ich persönlich habe es dabei allerdings meist so gehandhabt, dass ich die Ereignisse schon vor dem Treffen ausgewürfelt habe und diese dann noch ein wenig ausgestaltet habe. Das Gute dabei ist, dass sie den Spielern eben NICHT als zufällig vorkommen, und sie so dazu animieren, auch hinter nebensächlichem wichtige Plotstränge zu vermuten, was erstens wunderbar Verwirrung stiftet und zweitens dazu dient, zu vermitteln, dass Meisterpersonen nicht nur Info-Lieferanten sein müssen.
Ich erinnere mich allerdings auch an furchtbare Tabellen, wie etwa in „Pforte des Grauens“, dessen Reise durch Maraskan aus kaum etwas anderem bestand…
Zufallstabellen sind im wirkungsvollsten, wenn sie on the spot genutzt werden. Sie kommen dann ins Spiel, wenn ein Handeln der Helden sich nicht auf die vordefinierten Personen, Orte und Geschehnisse bezieht. Also jeden Rollenspielabend.
Sie helfen dem Meister beim ergebnisoffenem Meistern, weil das Ergebnis nicht von Drehbuchwünschen gesteuert wird. Das kann dem Spiel Eigendynamik verleihen.
Für den meister reduziert sich der Vorbereitungsaufwand auf die Kerninformationen. Reisen, Orte, Nebenpersonen werden nicht ausgearbeitet, sondern on the spot entwickelt. Eines ergbit sich aus dem anderen in Interaktion mit den Helden.
Grundsätzlich find ich Zufallstabellen ganz unterhaltsam, aber allzu oft nutz ich sie auch nur, um Ideen aus ihnen zu ziehen. Ernsthaft darauf gewürfelt wird selten bis gar nicht. Daher wäre es für mich kein Verlust, wenn statt einer Würfeltabelle nur eine Liste von Vorschlägen für interessante Events und Situationen vorhanden wäre.
Ja, das ist auch eine Möglichkeit. … Und wenn man dann noch Zahlen dazugibt, hat man schon eine Zufallstabelle. =)
Ich finde Zufies grundsätzlich gut, wenngleich nicht das Maß aller Dinge. In guter, alter DSA-Manier hatte ich sie zwischen 1992 (Zorn des Bären) und bis zu den großen ARS-Diskussionen ab 2006 komplett aus meinem Portfolio verbannt. Aber jene Diskussionen öffneten mir die Augen, dass ich in der Vergangenheit wohl dogmatisch ans Hobby herangegangen war.
Da hab ich auch nichts gegen, wenn da Zahlen vor stehen. Ich brauche sie nicht, aber wenn wer anders daran Freude hat, stell ich mich dem nicht entgegen.
Eine gute Zufallstabelle produziert dabei nicht nur irgendwelche Ergebnisse, sondern gibt auch Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Begegnung in einer Bestimmten Region zu erwarten ist und hilft damit auch dem Spielleiter, der die Verantwortung nicht aus der Hand geben und auf die Würfel delegieren will.
Dabei bevorzuge ich es sowohl als Spieler als auch als Spielleiter, wenn man nicht jeder Zufallsbegegnung sofort anmerkt, dass es sich um eine ebensolche handelt, sondern zumindest anfänglich in Betracht ziehen muss, dass auch eine Plotrelevanz bestehen könnte.
Das ist nicht ganz korrekt, Thorn. Es gibt durchaus Zufallstabellen, und die Geschichte des Rollenspiels zeigt das deutlich, die nicht plausibel abbilden wollen. Zufallstabellen können durchaus auch konkrete Situationen einführen, die keinerlei statistische Relevanz haben. Und warum?
Warum nicht? — das ist die Antwort der Old School drauf. Warum sollte ich nicht anstatt einer — mit Verlaub — langweiligen Tabelle wie der hier:
1 Bauer — fröhlicher
2 Ritter — schlafender
3 Geweihter — trauriger
4 Oger — blinder
5 Elf — besoffener
6 Niemand — predigender
so eine Tabelle in Aventurien verwenden:
1 Bauer, eigentlich Gestaltwandler, 1-3: will den Körper des Charakters mit dem geringsten CHA übernehmen, 4-6: will den Körper des Charakters mit dem höchsten CHA übernehmen
2 Ritter, der vor den marodierenden Ungeheuerhorden flieht, die seine Burg und Ländereien besetzt haben
3 Geweihter des Namenlosen, als blinder Bettler verkleidet. Die Helden haben ihn gerade bei der Beschaffung frischen Fleisches für sein Großes Ritual der Ewigen Dunkelheit gestört
usw.
Eine gute Zufallstabelle gibt nicht unebdingt die Wahrscheinlichkeit einer Begebenheit wieder, sondern sie produziert Ereignisse, die Einfluß auf das Leben der Helden haben.
Meine Tabelle liefert 2 Ergebnisse 😉
Dadurch kommt es zu interessanten Situationen wie eben eine Begegnung von einem Blinden Ritter mit einem Besoffenem Elfen. Intervenieren die Helden? Schauen sie zu wie ein Besoffener Elf den Ritter mit Magie vorführt? Machen sie mit?
Greifen sie ein, wenn ein schlafender Oger von einem Ritter abgestochen wird?
usw…
Deine Tabelle liefert Plothooks, meine Füllstoff zwischen Plothooks. Langweilig ist keine, solnge man sie richtig benutzt
Wenn du genau hinschaust, wirst du sehen, daß ich deine Tabelle lediglich anders formatiert habe… was mir bei deiner Tabelle fehlt, ist der Hook. Da ist nichts, was die Charaktere reinzieht. Einfach nur Wesen + Stimmungslage. Finde ich langweilig.
2 Wesen und zwei Stimmungslagen!
Daraus muss ich natürlich dann noch was bauen. Ob es einen ganzes Plotangebot oder nur ein Zwischenspiel ist, hängt dann von dir ab. Es bietet so gesehen mehr Freiheit das ganze im Sinne des Spiels zu interpretieren. Mein fröhlicher Bauer kann auch ein Namenloser-Kultist sein. Deswegen ist er auch so froh, weil er den Predigenden Geweihten ermorden konnte, als die Helden ankommen. Er kann aber auch einfach nur froh sein, dass sich jemand anderes den Seremon des Geweihten jetzt anhören muss
Aber genau diese „Interpretationsfreiheit“ ist ja die Wurzel des Beliebigkeitsspiels — das, an dem mindestens das neue DSA krankt!
Es ist eben die Unberechenbarkeit von echten Zufallstabellen, die die Würze ins (Old School-) Spiel bringt.
Wenn alles „interpretierbar“ ist wie beispielsweise auf deiner Tabelle, dann brauchst du keine Tabelle, weil du alles genau so hinbiegen kannst, wie es dein vermeintlicher Plotverlauf verlangt. Verstehst du?
Wenn du alle Details aus dem Ärmel schütteln kannst, dann führst du damit die Zufallstabelle ad absurdum, weil sie eben keine Zufallstabelle mehr ist, sondern nur eine randomisierte Liste von Denkanstößen.
Aber eine Zufallstabelle ist eine Randomisierte Liste von Denkanstößen.
Das ist sie auch bei meinem Guten alten Traveller.
Ich habe einen Planeten er würfelt bei dem auf einem Besseren
Asteroiden mehr als 10 Milliarden Menschen leben? Wie kommt das? Und die Leben auch noch ohne Regierung? Funktioniert das?
Oldschool ist nicht die einzige Spielform die Tabellen nutzt. Das kann man auch in einem Modernen Rollenspiel.
Wunderschön zusammengefasst! Ich selbst hatte jahrelang eine Allergie gegen Tabellen und habe nun anlässlich der Entwicklung von Destiny Dungeon überraschend meine Liebe zu ihnen entdeckt ( siehe http://www.aceofdice.com/domains/blog/archives/601 ).
Vieles aus grauer Rollenspiel-Vorzeit ist sinnvoller als es auf den ersten Blick den Anschein hat. 🙂
OMG … die Erkenntnis kommt dir JETZT erst … naja … besser spät denn nie. Sicher, wenn man seine rollenspielerische Sozialistation dem DSA der letzten 10 Jahre verdankt, mag das zufällige Ereignis eine Neuerung sein; dennoch ist es das Basiselement des eigentlichen Rollenspiels, also eines Spiels in dem sich SC frei durch eine Welr bewegen und nicht nur zu Statisten eines erzählenden SL-Onkels verkommen. Da könnte ich ja gleich ein Buch lesen …
Alos: willkommen im Abentuer und Glück auf :).
Ich kann deine Argumentation ehrlich gesagt nicht im Geringsten nachvollziehen, Archoangel. Welchen Unterschied macht es, ob die Geschichte des Erzählonkels linear verläuft oder an Stelle X drei verschiedene (dem die Zufallstabellen lesenden SL bekannte) Ereignisse passieren können, bevor sie wieder auf der gleichen Schiene zusammenlaufen? Gar keinen.
Es gibt ein Element, das Unsicherheit in die Story reinbringen kann: Die Handlungen der Spieler. Solange die nicht abgeblockt werden, solange sie nicht auf die gelbe Backsteinstraße zurückgeprügelt werden, besteht die Gefahr des Märchenbuchs nicht.
Diese Antwort beweist, daß du den Zweck von Zufallstabellen nicht begriffen hast, Cifer. Es geht NICHT darum, daß an „Stelle X drei verschiedene (dem die Zufallstabellen lesenden SL bekannte) Ereignisse passieren können, bevor sie wieder auf der gleichen Schiene zusammenlaufen“.
Nichts könnte falscher sein!
Zufallstabellen im traditionellen Rollenspiel sind ein Werkzeug der Welterschaffung und -darstellung gleichzeitig. Es gibt keine „Stelle X“, an der irgendwelche Ereignisse passieren können und es dann danach wieder auf dem geplanten Weg weiter geht!
Die *live* gewürfelten Ereignisse der Tabelle bestimmen den weiteren Verlauf des Erlebnisses. Es gibt kein vorgeplantes „Abenteuer“, sondern es gibt Charaktere, die die Welt entdecken und dabei durch *ihre eigenen* Aktionen mit der Welt interagieren. Und Zufallstabellen helfen allen Beteiligten, die Unwägbarkeiten der Welt abzubilden. Sie haben Gewicht.
Cifer schrieb:
„Es gibt ein Element, das Unsicherheit in die Story reinbringen kann: Die Handlungen der Spieler.“
So habe ich auch mehr als 20 Jahre geleitet. Irgendwann kam dann die Erkenntnis, daß wir weder Eisenbahnschinen, noch Stimmungsterror in meinen Spielen brauchen, um den Zauber unserer ersten Rollenspieljahre (1984-90) wieder zurückzuholen.
Nichts kann die Seltsamkeit und Unberechenbarkeit einer Fantasy-Spielwelt besser wiedergeben als Zufallstabellen. Eben weil kein geplanter Plot besteht, sondern die Charaktere eine Welt entdecken.
Ohnehin ist es der größte und meist befahrenste Holzweg der Rollenspielgeschichte, wenn Spieler und SL glauben, sie müßten Genres, Filme, Fernsehserien oder Bücher emulieren. Rollenspiel ist ein völlig anderes Medium und hat viel mehr Verwandtschaft zum Schelmenroman (der ja aus unzusammenhängenden Geschichten mit wechselnder Besetzung besteht) als zu irgendwelchen Filmen, Serien oder Büchern.
Aber genau das versucht DSA seit der 2. Auflage.
Tja, Archoangel, besser spät als nie, oder?
Immerhin bin ich noch offen für Anregungen. Du scheinst hingegen schon alles über Rollenspiele zu wissen. Freut mich für Dich.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf folgenden (wenig beachteten) Thread verweisen. 😉
http://ulisses-forum.de/showthread.php?t=11373
Ich für meinen Teil habe die Zufallstabellen aus der ersten Kreaturenbox immer als interessante Inspirationsquelle empfunden. Schade, dass es sowas so gut wie nicht mehr gibt.
Gibt es irgendwo eine Sammelstelle für Zufallstabellen – offizielle (alte wie neue) sowie hausgemachte von Spielern? Sowas täte mich sehr interessieren…
Danke im Voraus.
T.T.
Ja, wahrscheinlich mehr als du jemals brauchen wirst 🙂
Hier die Konkordanz des Ordens des W30: https://sites.google.com/site/therpgcorner/order-of-the-d30-concordance-beta
Und dann natürlich fast jeder Blog der OSR — ein guter Anfang ist Jeffs Blog (http://jrients.blogspot.com/search/label/DnD)